WAS FÜR EIN LEBEN
2008 für das Deutsche Historische Museum
1943 hineingeboren in die „Generation vaterlos“ wurden auch Herbert Koerner, seine ältere Schwester und sein jüngerer Bruder Kriegshalbwaisen. Die Flucht aus Danzig endet in Hessen. Die Familie lebt in Bad Hersfeld auf kleinstem Raum. Die Mutter schuftet, um die drei Mäuler zu stopfen, geht auch noch am Abend als Vertreterin von Haus zu Haus. Für Erziehung bleibt wenig Zeit, die Kinder müssen schon früh Eigenverantwortung tragen. Herberts Charakterzüge sind Unerschrockenheit, eine unberechenbare Neugierde, viel Eigensinn und ein ausgeprägter Freiheitsdrang. Eine explosive Mischung! Er geht im wahrsten Sinne des Wortes „mit dem Kopf durch die Wand“. Reibungen im Familienleben und Schulalltag sind vorprogrammiert. Strafen zügeln ihn nicht, sondern entfachen seine Phantasie, diesen zu entgehen. So kommt es vor, dass er auf das Dach der Schule flüchtet, in der Kanalisation verschwindet, oder sich in der Hütte eines Kettenhundes versteckt, der ihn nun bellend vor weiteren „Übergriffen“ der Erwachsenen schütz.
1953, Herbert ist zehn Jahre alt, seine Zeugnisse sind nur befriedigend, die Lehrer wollen seine Eigenständigkeit brechen, ihn gefügig machen. Mutter Margarethe sieht ihre Erziehung scheitern und gibt ihr Einverständnis zur Einweisung in das Kinderheim für Waisen und Schwererziehbare in Buchenau/Kreis Biedenkopf. Klar, dass sich auch hier Herbert mit einem Paukenschlag einführt: Die regelmäßigen Sammelaktionen von Buntmetall bringen ihn auf die Idee etwas Geld in seine leeren Taschen fließen zu lassen. Sein Ideenpotential sucht natürlich nach einer optimal ertragreichen Lösung und so baut er kurzerhand die Blitzableiteranlage des Kinderheims ab, um diese in klingende Münze zu verwandeln. Wieder Konfrontation.
Herbert steht kurz nach seiner Aufnahme in das Kinderheim schon vor dem Rausschmiss. Doch der Junge hat Glück und bekommt in der Heimleiterin Ottilie Achenbach eine Fürsprecherin. Diese Frau erkennt die Potentiale des Jungen, weiß Böswilligkeit von stürmischem Überschwang zu trennen, geht auf seine Bedürfnisse ein, fördert seine Leidenschaft zu Geographie, Naturkunde und Zeichnen, versteht ganz einfach den Überschuss an Energie in interessante Aufgabengebiete zu lenken. Die Schulzeugnisse aus dieser Zeit belegen diese Entwicklung deutlich. Zwei Jahre ist Buchenau Herberts zu Hause und die Aussage des erwachsenen Mannes, dass diese Jahre die schönsten seiner Kindheit gewesen seien, macht nachdenklich und berührt gleichermaßen.
Doch wie so oft bleibt einmal abgestempelt immer abgestempelt, zurück in Hersfeld zweifeln die Lehrer an seiner Gymnasialempfehlung, üben den alten Druck aus, seine Noten werden schlechter und nach dem Volksschulabschluss beginnt Herbert eine Maschinenschlosserlehre in Kassel. Doch schon nach einem knappen Jahr kommt dieses Gefühl der Routine, der Einengung. Herbert sieht die Befriedigung seines Freiheitsdrangs einzig und allein in der Seefahrt, fährt ohne Wissen der Familie nach Hamburg, um 15jährig anzuheuern. Erstaunt und erheitert zugleich macht man diesem stürmischen Jungen klar, dass zu solch einem Unternehmen immer noch die Einwilligung der Erziehungsberechtigten gehört. Zurück nach Hersfeld, die Unterschrift der Mutter eingeholt und kurze Zeit später führt ihn die erste Heuer 1959 als Moses auf dem alten „Kakerlakendampfer“ MARGA der Reederei Willy H. Schliecker übern "großen Teich".
Doch schon auf dieser Reise begriff Herbert, dass man ohne Ausbildung immer einen der letzten Plätze in der hierarchisch angelegten Gesellschaft belegt. Er mustert ab und begibt sich in Hamburg auf die Suche nach einem Ausbildungsplatz. Seine Vorgeschichte und sein ungestümes Auftreten öffnen ihm nicht gerade Tür und Tor. Um es ganz klar zu sagen: er wird größtenteils abgewiesen.
Wie damals im Buchenauer Kinderheim, so ist auch der berufliche Werdegang wieder mit einer Person verbunden, die das Potential des Jugendlichen erahnt. Max Bednarz, der Vater des Journalisten Klaus Bednarz, war damals Ausbildungsleiter auf der Stülckenwerft in Hamburg. Seine Fürsprache ermöglicht Herbert den Einstieg in die Schiffsmaschinen-schlosserlehre, die er 1962 erfolgreich abschließt. Der anschließende Vorsemesterkurs auf dem Polytechnikum Friedberg bringt 1963 die Voraussetzung und den Einstieg in das Ingenieurstudium.
Doch die nächsten Gewitterwolken ziehen auf: Der Einberufungsbefehl! Unter keinen Umständen will Herbert zum Militärdienst. Um diesem zu entgehen, heuert er kurz nach Studienbeginn auf der MS URSULA RICKMERS, der Reederei Rickmers an, um auf der Route Hamburg – Suezkanal – Port Sudam – Djibouti – Sabang – Shanghai – Dairen – Bankog – Durazzo – Amsterdam Land- und Seemeilen zwischen sich und die deutschen Meldebehörden zu legen. Eine schwere Hepatitis mit langem Krankenhausaufenthalt befreit ihn endgültig vom Dienst an der Waffe.
1964 bis 1968 absolviert Herbert das Ingenieurstudium, in den Semesterferien zieht es ihn aber immer wieder in die Ferne und als Ingenieurassistent heuert er auf den Schiffen MS PEKARI der Reederei Laizs-Hamburg und auf der MS CAP SAN DIEGO der Reederei Hamburg-Süd an. Die CAP SAN DIEGO liegt übrigens heute noch als fahrtüchtiges Museumsschiff im Hamburger Hafen.
Der frisch gebackene Diplomingenieur arbeitet zunächst drei Jahre als projektgebundener freier Ingenieur im Chemieanlagenbau (Umwelttechnik).
Doch der Drang nach neuen Erkenntnissen lässt Herbert Koerner in seiner Entwicklung nicht stillstehen. Er absolviert ein Medizinstudium, promoviert, erhält die Anerkennung als Arzt für Orthopädie und für die Zusatzausbildungen Chirotherapie und Sportmedizin.
1985 erfüllt sich der Traum von der eigenen Praxis in München/Ottobrunn. Arzt sein, den Kranken dienen. Schon bald beschleicht Herbert Koerner wieder dieses Gefühl der Routine, dieses „Sich-einnehmen-lassen“ von Gegebenheiten. Er fühlt sich als Teil eines finanzorientierten Gesundheitssystems, ist gefangen in der Schnellabwicklung des Praxisalltages. Natürlich, sein Ziel war mal wieder erreicht, die Praxis boomte, aber Zeit für ein wirkliches Patientengespräch, für die Erforschung von Krankheitsursachen, die gab es nicht.
Warum nahmen Patienten mit chronischer Schmerzsymptomatik oder mit psychosomatischen Langzeitbeschwerden vermehrt die Hilfe von alternativ arbeitenden Therapeuten in Anspruch? Was machte die ganzheitlichen Behandlungsmethoden so attraktiv? Stieß die Gesellschaft an die Grenzen der Fachspartenmedizin? War es wichtiger, sich vermehrt der zentralen Frage nach der Steuerung und Regelung der Selbstheilungskräfte des menschlichen Körpers zuzuwenden? Herbert Koerner musste sich entscheiden.
Entweder weiter in der teils unbefriedigenden „Tretmühle“ einer Orthopädischen Praxis zu verharren oder wieder einmal die Leinen eines Lebensabschnittes zu kappen, um die medizinischen Weisheiten der Naturvölker zu ergründen. Auf einer sechsjährigen Weltumsegelung konnte er in unterschiedlichen Kulturen eine Vielzahl ganzheitlicher Heilbehandlungen studieren. Sein Fazit: Grundsätzlich haben die Naturvölker in ihrer Sicht auf Heilung übereinstimmende Gemeinsamkeiten. Auf der einen Seite die Betrachtung des Körpers als untrennbare Einheit und das Vertrauen in die Signale dieses Körpers, um so die Mechanismen der Selbstheilungskräfte zu nutzen, und auf der anderen Seite, und diese erschien Herbert Koerner weitaus wichtiger, der Schwerpunkt der psychischen Heilung. Mechanische Wunden kann der Körper oft selbst "reparieren". Seelische Wunden brauchen Zuwendung, werden als Erkrankung sehr ernst genommen und bedeuten für die Familienverbände ein hohes Maß an Mitverantwortung und Pflege.
Diese Erfahrungen vertieften also nicht nur seine Überzeugung als Ingenieur von der beispiellosen Regulation und Rechenleistung des Systems Mensch, sondern brachten den Mediziner auch der ganzheitlichen Betrachtung von Heilungsprozessen wieder einen großen Schritt näher. In einer alternativ ausgerichteten orthopädischen Praxis in Berlin widmet er sich in den letzten acht Jahren eindringlich der atlasmedizinischen, humankybernetischen Grundlagenforschung und betreut vorwiegend austherapierte Schmerzpatienten und Hochleistungssportler.
Wieder war es eine weitsichtige, aufgeschlossene Person, die Herbert Koerner die Tür zu einem Lebensabschnitt öffnete. Die damalige Bundestrainerin/Jugend, Frau Dipl. Päd. Beate Ludewig, war sehr skeptisch, als Herbert Koerner am Beckenrand der Schwimmhalle in der Landsberger Allee in Berlin auftauchte und behauptete, er könne ihre Schwimmer schneller machen. „Entweder ein Spinner oder da könnte etwas dran sein“, sagte sich die couragierte Trainerin, entschied sich für „da könnte etwas dran sein“ und legte durch ihre Neugierde den Grundstein für eine jahrelange gemeinsame Grundlagenforschung im Hochleistungsbereich Schwimmen und für eine anhaltende Freundschaft.
Viel wäre noch zu berichten von diesem 66jährigen, der allen Widerständen zum Trotz seinen Weg und dessen Ziele verfolgt. Der sich der humankybernetischen Ausbildung des orthopädischen Medizinernachwuchses widmet, sich für die Schmerzfreiheit seiner Patienten ebenso wie für die dopingfreie Leistungssteigerung seiner Sportler einsetzt, der seinen besten Freund, den amerikanischen Wissenschaftler Don Friedman während der Weltumsegelung bei einem dramatischen „Mann über Bord“- Manöver retten konnte, der im Jemen den Angriff von Piraten und in der Südsee einen Hurrikan überstand. Ein Mann, den Reibungspunkte herausfordern und Widerstände beflügeln.
Sein nächster Lebensabschnitt? Danach fragen Sie ihn am besten selbst…
Angelika Würzner (2008)
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