BERLINER MORGENPOST
22.2.2003

Arzt unter weißem Tuch
Von Matthias J. Müncheberg

Herbert Körner ist im Winter oft der Einzige zwischen den Eisschollen, ein Weltumsegler in Berlin

Kaum löst sich Winters eisiger Griff, und Spree-Athens Gewässer brechen hier und dort auf, finden einige wenige Unentwegte ihren Weg ins freie Wasser. Einer von denen, die partout nicht warten wollen, ist Herbert Körner. Er löst die Festmacher, welche seine elf Meter lange Cometone-Segelyacht mit dem Steg des Dahme Yacht Clubs an der Schmöckwitzer Seddinpromenade verbinden. Er setzt die Segel, erst das Groß, dann die Genua - der Nordost bläst schwach von schräg vorn. An den Schoten parasitengleich Eis. Auf dem Deck ein Schneeteppich. Unten pfeift heimelig der Wasserkessel. Obwohl kein Leichtgewicht, wieselflink wetzt der Neunundfünfzigjährige auf dem Deck hin und her, verschwindet im Niedergang. Minuten später löst der Grog steife Finger. Koerner sieht mit dunkelblauem Pulli, derben Hosen und Wollmütze nicht nur aus wie ein Seemann: Mit fünfzehn fuhr er als Moses auf dem Dampfer Marga nach Florida. Die MS Ursula Rickmers brachte ihn kurze Zeit später nach Schanghai. Er arbeitete für Laisz auf der Pekari, für Shell auf der TTS Caprella und auf der Cap San Diego - die liegt heute an der Kette in Hamburg, dort, wo die Schiffe Passagiere fressen, um ihnen die Welt zu zeigen. Die wollte Körner auch gern kennen lernen, nicht unter Deck, sondern als Skipper auf eigenem Kiel. Für die Verwirklichung dieses Traumes arbeitete das Energiebündel mit den wachen Augen und dem scharfen Sinn hart: 1968 war für den Schiffsmaschinen-Schlosser vorerst Schluss mit der Seefahrt - Geld musste her für die große Fahrt.

Koerner machte seinen Dipl.-Ing. im Maschinenbau und hängte gleich noch ein Medizin-Studium hintan. Als er schließlich vor elf Jahren seine gutgehende Orthopädie-Praxis in Ottobrunn verkaufte, war der Grundstock für den großen Törn, von dem die meisten ein Leben lang nur träumen, gelegt. Eine Nauticat 43 war bereits angeschafft und mit allem Nötigen selbst ausgerüstet: Ein 13-PS-Generator ließ Wassermacher und Waschmaschine laufen. Alles für die Langfahrt Nötige baute Körner doppelt ein. Neben Autopiloten, GPS, Solarpaneelen und einem Windgenerator fuhr der Bad Hersfelder auch ein Unterwasser-Sonar. Begleitet wurde er auf seiner gut sechs Jahre währenden Barfußroute, welche ihn von Lignano und Las Palmas zunächst nach St. Lucia, Venezuela und Panama und weiter über Polynesien, Tonga und Fidschi nach Papua Neu Guinea, Australien, Thailand, Ägypten und Griechenland schließlich wieder nach Italien führte, zeitweise von seinem damals zweieinhalbjährigen Sohn, einer Partnerin sowie einem befreundeten Ehepaar. Während des Törns arbeitete der Arzt immer wieder als Mediziner, half unentgeltlich denen, welchen keiner half, und konnte so nebenbei Kenntnisse alternativer Naturheilmethoden vertiefen. Die wendet er nun unter anderen in seiner Karlshorster Praxis an. Warum geht ein echter Hardcore-Wassersportler wie Koerner, der mit knapp Sechzig "am liebsten Hobie Cat 16 segelt" auf die vergleichsweise begrenzten Gewässer im Südosten Berlins, anstatt weiterhin auf große Fahrt? "Nun, hier ist es spannend", sagt er, "und die Menschen sind sympathisch." Man nimmt es dem Mediziner, zu dessen Patienten mittlerweile Hochleistungssportler genau so zählen wie sogenannte austherapierte Schmerzpatienten ab, dass er sein Leben geben würde, um denen die, die kaum noch hoffen, ein neues Ziel zu geben: Ohne Spritzen und Medizin, in Würde und ohne Schmerzen.

Seine Weltreise unter Segeln - auf welcher er etwa Aborigines ein Stück im Urwald begleitete - half ihm, helfen zu lernen, wo heutige Schulmedizin passt. Wer das quirligen Schwergewicht kennt, begreift: Nur eines kann dieser segelnde Ingenieur mit der Passion für die Harmonie von Natur und Technik nicht vertragen - Langeweile.